Goldener Oktober

Die Schatten sind länger geworden. Im flachen Winkel fällt das Licht durch die Baumwipfel – ein Mittag im späten Herbst. Das Ohr vernimmt ein tiefes Brummen von links: Hummelköniginnen tauchen ihren Rüssel in den süßen Nektar der Braunelle. Mit seinem kräftigen Lila zieht der Lippenblütler auch Wanderers Auge in seinen Bann. Vor allem jetzt, wo die Vegetation in einem Strohfeuer verschmilzt, um dem weißen Winter Platz zu schaffen.

Wer sich etwas Zeit nimmt, der spürt dieses verbindende Element allen Seins. Dem ewigen Ruf der Schönheit folgend geht die Natur in den Schlaf über. In den tiefsten Nächten träumt sie dann unter dem Sternenhimmel von … »Tiitütüü!«, unterbricht ein Vogel. Der Geist kehrt in die Gegenwart zurück.

Die Flugfauna äußert sich zaghafter im fortgeschrittenen Jahr. Die fröhlichen Lieder sind ausgeklungen. Dafür schenkt die Sonne Wärme. Und Marienkäfer landen auf Arm und Bein. Dreizehn, vierzehn, fünfzehn … So viele Punkte auf dem Panzer – man kann sie gar nicht zählen, eh das Insekt seine roten Flügel wieder ausgebreitet hat.

Erneut fährt der Wind durchs Haar. Ein Konfettiregen löst sich aus dem Dach der Buche. Im Lichtstrahl Helios’ segeln die Blätter zu Tausenden hernieder. Schützend legt sich das Laub auf die Erde. Der Mantel unter den Füßen knistert beim Durchwaten.

Vor dem tiefblauen Himmel richten die Bäume ihre rot-goldenen Kronen in die Lüfte. Espe und Salweide bleiben länger grün. Es ist eine Szene wie aus dem Bilderbuch … Plötzlich fallen Regentropfen. Hoch oben zieht eine dunkle Wolke vorüber. Die Sonne scheint weiter. Ein Waldbad im Oktober ist immer eine Erfrischung.

Ein Weihnachtslied

Kahl stehen die Lärchen am Waldesrand,
Am Boden zerstreut hat sich ihr goldnes Gewand;
Erkaltet, erstarrt ist die weite Flur,
Als stünde sie still, die Weltenuhr.

Im Nebel verliert sich das dürre Geäst;
Abnoba¹ aus dem Haine schläft tief und fest.
Oben in den Kronen siehst du Eiskristalle blinken,
Während die Zweige unter ihrer Last herniedersinken.

Pralle blaue Schlehen in einem fort,
Tiefrote Hagebutten da und dort!
Und leise zieht der Winter ein
Mit den ersten zarten Flöckelein.

***

Beglückt reichen wir uns die Hände sacht:
Das Land hat sich verwandelt über Nacht.
Wunderbar ist die Natur, liebes Kind;
Zauberhaft der Schnee, so leicht und lind!

Kannst du sehen, wovon wir träumen –
Siehst du die Bilder von blühenden Säumen?
Hör nur das Summen, das Plätschern, das Lachen,
Wie sie ein Feuer in der Seele entfachen!

Du darfst der Biene deine Wünsche sagen –
Welche Blüten sollen Früchte tragen? –
Und für dich sprießen die schönsten Kräuter
Wie auch die entzückendsten Sträucher.

***

Und an einem warmen Orte
Hast du durchschritten die Pforte …
Das Licht erblickt in der tiefsten Nacht
Und so viel Freude mitgebracht.

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