Geburtsstunde der Gewalt

Grafik zur Symbolisierung. Lizenz: Bild von StockSnap / Pixabay / Bild beschnitten.

Rezension | 28.03.2025

Geburtsstunde der Gewalt

Übergriffe im Kreißsaal sind Alltag. Die Hebamme Eva Placzek wurde unfreiwillig Mittäterin. In ihrem Buch tritt sie für eine menschenwürdige Geburtshilfe ein. Von Hakon von Holst.

Gute Bedingungen für eine Geburt, das darf man von einer hochentwickelten Zivilisation erwarten, oder? Jedes Jahr werden Hunderttausende Mütter Opfer von Gewalt im Kreißsaal. Eva Placzek erlebte das Tag für Tag: Medikamentengabe und schwere Eingriffe in den Geburtsablauf ohne Zustimmung und Risikoaufklärung. Wehrlose Frauen, die vom Klinikpersonal verbal erniedrigt werden. Placzek sieht sich als Mittäterin: Als junge Hebamme in Ausbildung musste sie selbst Gewalt ausüben. Nicht weil es medizinisch geboten war, sondern weil die Vorgesetzte keine Widerrede kannte. Placzek handelte gegen den Willen einer Gebärenden und sah das Blut von ihren Handschuhen tropfen. Das hat sie gebrochen. Sie, die immer davon geträumt hatte, Frauen zu helfen und Hebamme zu werden.

Aber Eva Placzek fand einen Weg, mit ihren Erlebnissen umzugehen. Sie unterbrach die Ausbildung, studierte Wirtschaftspsychologie und kehrte schließlich in ihren Traumberuf zurück, um alles besser zu machen. Sie wurde Botschafterin einer menschenwürdigen Geburtshilfe und schrieb ein Buch: »Ich, Hebamme, Mittäterin« erschien im Frühjahr 2024 im Goldegg-Verlag. Auf 190 Seiten analysiert die Autorin, woran das System krankt. Sie erzählt schockierende Szenen, gibt Müttern Rat und appelliert daran, sich tiefgründig zu informieren und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen.

Placzek berichtet aus einer persönlichen Perspektive. Objektive Studien über den Umfang der Gewalt in Kreißsälen erwähnt sie am Rande. Ein paar zusätzliche Worte an dieser Stelle hätten dem Buch noch mehr Substanz gegeben. Denn die Forschungsliteratur ist ergiebig: Ein Team um Claudia Limmer hat mehr als 2000 Berichte ausgewertet: 29 Prozent der Mütter werden bei der Geburt angeschrien oder getadelt, 30 Prozent bitten vergeblich um Hilfe. 33 Prozent berichten, ihre Privatsphäre sei verletzt worden, 34 Prozent beklagen körperliche Gewalt und 43 Prozent widerfährt ein medizinischer Eingriff ohne vorheriges Einverständnis. Außerdem erlebt fast jede dritte Frau, wie man ihr mit dem Leben ihres Kindes droht, um sie gefügig zu machen.

Der Autorin Eva Placzek gelingt es auch ohne den Rückgriff auf solche Studien, dem Leser die Probleme in ihrer gesellschaftlichen Dimension vor Augen zu führen. Die Geburt werde in ein klinisches System gezwängt, »welches darauf ausgelegt ist, Kranke zu behandeln und damit Profit zu machen«. Die moderne Medizin hat problematische Geburten freilich sicherer gemacht. Doch der Kreißsaal entpuppt sich in vielen Fällen als ungünstiger Ort: Hier arbeiten schlecht bezahlte Hebammen, die im Dauerlauf vier Frauen gleichzeitig betreuen und am Ende eines Tages erschrocken über sich selbst nach Hause gehen.

Die Forschung weiß längst, was jedem einleuchten wird: Eine natürliche Geburt gelingt am besten, wenn die Gebärende Liebe und Geborgenheit empfindet. Im Krankenhaus wirkt vieles kontraproduktiv: Die Autorin zählt darunter Gerüche, Geräusche, grelles Licht und fremde Personen. Die Geburt benötige das Liebeshormon Oxytocin. Das schüttet der Körper eher in intimen Räumen aus. Im Kreißsaal bekommt die Schwangere daher künstliche Hormone – mit schmerzhaften Nebenwirkungen, weil der Körper gar nicht bereit ist für die Geburt.

Placzek spricht von »kranken Wirtschaftsbetrieben«. Krankenhäuser verdienen wenig an Schwangeren, die in aller Ruhe zwanzig Stunden ein Bett belegen. Geld bringen ihnen medizinische Eingriffe. Unterdessen sei die Nachfrage nach Hausgeburten kaum zu bewältigen. Es mangele an Hebammen in diesem Bereich, zumal die Berufshaftpflichtversicherung eine große Last sei. Mütter können sich nicht darauf verlassen, von der Hebamme ihres Vertrauens auch bei der Geburt betreut zu werden. Freischaffende Hebammen wie Eva Placzek müssen dazu einen Vertrag mit dem Krankenhaus abschließen. Diese Möglichkeit ergebe sich nur manchmal. Placzek möchte deshalb keine Hausgeburten anbieten. Denn ihr wäre es wichtig, Mütter weiter zu betreuen, falls die Geburt unvorhergesehen in ein Krankenhaus verlegt wird.

Mit ihrem Buch stellt die Autorin der Gesellschaft ein Armutszeugnis aus. Mütter tragen von qualvollen Geburten, von Übergriffen in intimen Situationen, Traumata davon, die ihre Beziehung zum Kind und die ganze Familie belasten. Der Säugling erlebt Gewalt, während er das erste Mal das Licht der Welt erblickt. Das ist kein guter Anfang. In Gemeinschaft mit liebevollen Eltern heilt die Wunde. Wird jedoch das Gefühl von Verbundenheit und Liebe aus den ersten neun Monaten nachhaltig gestört, könnte das Kind die erfahrene Gewalt als Lebensprinzip verankern. Unsere Gesellschaft redet über Raketen, nicht über glückliche Kinder. Sie sollte sich fragen, was ihr wichtiger ist.

Eva Placzek: Ich, Hebamme, Mittäterin. Mein Einsatz gegen Gewalt im Kreißsaal und für eine sichere Geburtshilfe. Berlin, Wien: Goldegg 2024, 200 Seiten, 22 Euro

Autor: Hakon von Holst. Die Rezension erschien zuerst bei der Freien Medienakademie.




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